Laut dem Südwest-Fernsehen wurde über den Boris aus Tübingen ein Film gedreht. Gemeint ist Boris Palmer, der in Tübingen als Oberbürgermeister regiert. Boris Palmer wurde nach eigenen Aussagen von seinem Vater Helmut Palmer, geprägt. Und natürlich auch vom Aushelfen auf den vielen schwäbischen Wochenmärkten, auf denen sein streitbarer Vater vor allem Remstalobst verkaufte. 

Aber da wäre noch ein wichtiges Thema, welches die Geschichte in uns wach ruft: in den letzten Tagen im April vor 80 Jahren ging für Ulm der 2. Weltkrieg zu Ende. 

Also – die Worte über den Helmut P. können noch einen Monat warten. Wenden wir uns in ein paar Zeilen über das Kriegsende in Ulm zu. 

Aber halt – was haben die letzten chaotischen Frühlingswochen 1945 in einem zerstörten Ulm mit einem Ulmer Wochenmarkt zu tun? 

Nach Aussagen unserer Mütter, Großmütter und Großväter begann nach Kriegsende erst die richtige große Not. Hunger, kein Wohnraum, fehlendes frisches Wasser, fehlende medizinische Versorgung und ein zerstörtes Transport-Wesen machte den Ulmern das Leben besonders schwer. Man schwärmte ins Umland zum Hamstern aus. Ein 86 jähriger Neu-Ulmer Freund berichtete mir erst vor ein paar Wochen, dass einmal seine Mutter weinend nach Hause gekommen sei, weil irgendein Strauchdieb, Straßenräuber, Bandit oder Wegelagerer ihr gleich den vollen Hamster-Rucksack abgenommen hätte.

Bald versuchte man in Ulm wieder so etwas wie einen Frischmarkt einzurichten. Die paar Marktleute, die noch ein bisschen etwas anzubieten hatten, fanden sich vor dem Rathaus, dem freigeräumten Marktplatz oder auf dem Judenhof wieder. Aber was konnten die Gärtner und die Gärtnerswitwen überhaupt anbauen. Es fehlte z. B. an Saatgut. In den Jahren des Krieges „verteidigten“ auch die Gärtner in Stalingrad, im Kessel von Demjansk oder am Atlantikwall oder sonst wo in Europa das Großdeutsche Reich. Über mehrere Jahre gab es in Deutschland keinen Samennachbau.

Die Mutter einer Gärtnersfrau aus Ulm lebte z. B. in der Schweiz und konnte ab 1946 erstklassigen Gemüsesamen ihrer Familie nach Ulm schicken. Super-Sortensaatgut vom schweizer Züchter Roggli – Kohlrabi, Radieschen, Kopfsalat und Rettichsamen. Bis zur Währungsreform musste diese Gärtnersfamilie, die ihre Gärtnerei vor den Toren der Stadt hatte, überhaupt nicht auf den Wochenmarkt. Die Kunden nahmen die 3 km vor die Stadt gerne auf sich. Es wurde berichtet, dass zum Beispiel eine Kundin zum Gärtner (der 1946 aus der Gefangenschaft heimgekehrt war) sagte: "Herr G. verkaufen Sie mir ein kg Stangenbohnen, wenn ich Ihnen 10 kg Bohnen brocke?" * 




*Brocken ist das schwäb. Wort für ernten.

In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg bekam die west-deutsche Landwirtschaft Saatgutlieferungen aus den USA und der Samenhandel wurde angewiesen, doch bitteschön kein altes Saatgut mit der verminderter Keimkraft unter das frische Saatgut zu mischen. Ende der 40er-Jahre wurde der Ulmer Wochenmarkt, natürlich auch der Neu-Ulmer Wochenmarkt dann ein ordentlicher Versorger für die Stadtleute.

Und noch etwas kam dazu – die vielen Geflüchteten und Vertriebenen aus der Tschechoslowakei, aus Ungarn oder den anliegenden Balkanländern begannen sich nach Gartengrundstücken umzusehen und hübschten das Angebot auf: mit Frühlingsblumen, im Sommer mit Paradeisern, also Fleischtomaten und anderen Tomaten. Und mit einem Fruchtgemüse, welches die Schwaben noch kaum kannten, mit Paprika und natürlich auch mit dem scharfen Peperoni. Im Herbst tauchten an den Klein-Ständen entlang vom Münster-Bazar kunstvoll geflochtene Zwiebelzöpfe auf und natürlich auch der bei den Donauschwaben so beliebte Knoblauch. Hat es die geneigte Leserschaft gemerkt: Selbst für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lohnt es sich durchaus ein paar Gedanken über den Ulmer Wochenmarkt zu machen.